Dr.in Sarah Maupeu
COACHING MIT KUNST

Wie funktioniert Coaching mit Kunst?
Ein Beispiel aus der Praxis

Soll ich kündigen? Was der Künstler Andrea Mantegna dazu sagt

Im Coaching begegnet mir regelmäßig die Frage nach der richtigen Entscheidung. Vor ein paar Monaten habe ich mit Sebastian ein Coaching zu der Frage »Soll ich kündigen – Ja oder Nein?« durchgeführt. Im Gespräch mit einem Kunstwerk von Andrea Mantegna (1431-1506) hat Sebastian eine Antwort für sich gefunden. Ich habe dieses Thema mit Sebastian in einem COACHING IM MUSEUM bearbeitet.

Das Format: Coaching im Museum

Coaching im Museum gehört zu den kunstgestützen Coaching-Formaten. Im kunstgestützten Coaching (oder Kunstcoaching) nutze ich zusätzlich zu Methoden aus dem systemischen Coaching auch künstlerisch-kreative und kunstthreapeutische Techniken. Coaching mit Kunst basiert ganz konkret auf der Methode der psychologischen Kunstbetrachtung.

Dazu treffen wir uns in einem Berliner Museum. Wir besprechen zunächst, um welche Frage oder welches Anliegen es geht. Dann gehen wir gemeinsam durch die Ausstellung und lassen die Werke auf uns wirken. Du wählst dir in deinem Tempo ein Kunstwerk aus, das dich in diesem Moment anspricht. Die Auswahl erfolgt ganz intuitiv und es ist oft völlig überraschend, welches Bild ausgewählt wird. Meistens können sich meine Kund:innen ihre Wahl selbst (noch) nicht erklären.

Das ausgewählte Kunstwerk nutzen wir dann wie eine Art Spiegel, der Aspekte sichtbar macht, die normalerweise im Unterbewusstsein verborgen sind und an die wir oft mit reinem Nachdenken nicht rankommen. Im Laufe des Coachings betrachten wir es zunächst ausführlich und in aller Ruhe. Wir erforschen dann, welche Impulse und Qualitäten darin verborgen liegen und wie das für das eigene Anliegen hilfreich sein kann.

Das Bild: Die Darbringung Christi im Tempel

Sebastian, mit dem ich mich in Berlin in der Gemäldegalerie treffe, sucht sich schon nach wenigen Schritten das Gemälde »Die Darbringung Christi im Tempel« (1454) des italienischen Malers Andrea Mantegna aus.

Das Bild zeigt eine Erzählung aus dem Lukas-Evangelium, in der Maria und Josef ihren Sohn Jesus in den Tempel von Jerusalem bringen. Dort nimmt ein weiser Alter namens Simeon Jesus auf den Arm und erkennt, dass es sich um den Messias handelt.

Der Maler Mantegna stellt in seinem Gemälde den Moment in den Mittelpunkt, als Maria (Zweite von links) mit dem Jesuskind auf dem Arm Simeon (Zweiter von rechts) begegnet. Maria hält Jesus fest an sich gedrückt, während Simeon an Jesus zu ziehen scheint. Im Hintergrund, zwischen Maria und Simeon, ist Josef zu sehen. Links hinter Maria steht eine Frau, die aus dem Bild hinaus zu gehen scheint, und rechts hinter Simeon schaut ein Mann auf die Szene im Vordergrund.

Was das Bild mit der Frage "Kündigen - Ja oder Nein?" zu tun hat

Was hat diese Geschichte nun mit Sebastians Frage zu tun, ob er kündigen soll oder nicht? Wir schauen uns das Bild genauer an und Sebastian stellt sofort die Verbindung zwischen dem Jesuskind und seiner jetzigen Arbeitsstelle her.

»Das Kind ist doch schon tot, schon gestorben. Genauso ist es mit meiner Arbeitsstelle. Ich weiß, dass ich da weg will. Ich fühle mich gelangweilt, unterfordert. Und was ich da mache, ist überhaupt nicht erfüllend für mich. Aber es ist von den Rahmenbedingungen eigentlich so perfekt, dass ich Angst habe, die falsche Entscheidung zu treffen, wenn ich kündige. Ich fühle mich, als wäre ich in einem goldenen Käfig gefangen.«

Sebastian und ich tauchen im Laufe des Coachings immer weiter in das Bild ein und arbeiten nach und nach heraus, dass die verschiedenen Figuren im Bild jeweils für eine innere Stimme oder einen inneren Anteil von Sebastian stehen. Diese Anteile haben unterschiedliche, zum Teil sogar widersprechende Meinungen zu der Frage, ob Sebastian kündigen soll oder nicht.

Der innere Konflikt

Foto Coaching mit Kunst | 1 zu 1 Coaching, berufliche Neuorientierung, inneres Team | Skizze des Gemäldes Die Darbringung Christi im Tempel mit Sprechblasen für die inneren Anteile

Im Wesentlichen geht es um einen Konflikt zwischen »Maria« und »Simeon«:

Simeon: »Gib mir das Kind. Du weißt, dass es so sein muss. Wir alle wissen es. Es führt kein Weg daran [an der Kündigung] vorbei. Ich verstehe nicht, warum du das nicht einsiehst.«

Maria: »Ich kann nicht. Ich kann mein Kind [den Job] nicht loslassen. Es tut weh und ich habe Angst.«

Die anderen Figuren im Bild kommentieren den Konflikt zwischen Maria und Simeon:

Josef: »Ich kann euch beide verstehen. Ihr habt beide Recht, es ist an beiden Seiten etwas dran. Ich weiß auch nicht, wie wir das Problem auflösen.«

Frauenfigur links: »Ich halte diesen Konflikt nicht aus. Ich würde am liebsten aus dem Bild [aus der Entscheidungssituation] weglaufen.«

Und was sagt der Maler des Bildes zu Sebastians Frage?

Spannend ist, was die Männerfigur rechts zu sagen hat, denn von dieser Figur kommt der Hinweis, der am Ende zur Auflösung des Konflikts im Bild und in Sebastian führt:

Männerfigur rechts: »Ich spüre den Schmerz von Maria sehr intensiv und ich habe ganz viel Mitgefühl. Ich weiß aber auch, dass sie am Ende ihr Kind an Simeon übergeben muss.«

Wir fragen bei dieser Männerfigur nach, ob sie vielleicht eine Idee hat, was in diesem Konflikt hilfreich sein könnte. Darauf antwortet sie:

»Simeon, könntest du Maria nicht noch ein bisschen Zeit geben? Die Zeit, die sie braucht, um zu trauern und von ihrem toten Kind Abschied zu nehmen? Dann kann Maria vielleicht loslassen.«

Und das ist die Lösung für Sebastians Entscheidungskonflikt: 

Er entscheidet sich, zu kündigen, aber die Kündigung nicht sofort einzureichen. Stattdessen nimmt er sich die Zeit, um zu betrauern, dass ihm diese Arbeitsstelle keine Erfüllung und Freude gebracht hat, obwohl sie am Anfang so perfekt schien. Er kann dadurch Abschied nehmen und loslassen. Und nur zwei Wochen nach unserem Coaching im Museum hat Sebastian dann tatsächlich gekündigt.

Das verrückte ist: Die Männerfigur rechts im Bild ist vermutlich ein Selbstporträt des Malers Andrea Mantegna, der sich auf diese Weise im Bild verewigt hat. Sebastian hat im Coaching also ohne es zu wissen tatsächlich mit dem Künstler persönlich gesprochen, der ihm dann den entscheidenden Hinweis gegeben hat. (Die Frauenfigur links soll Mantegnas Ehefrau Nicolosia Bellini sein.)

Kunsthistorische Fun Facts

Sebastian hatte davon gesprochen, dass das Jesuskind (und damit seine Arbeitsstelle) »schon tot, gestorben« sei. Das passt perfekt, weil Mantegna mit seiner Darstellung des Jesuskindes tatsächlich auf den späteren Tod Jesu vorausweist: Das Jesuskind in diesem Bild schreit laut auf – so wie später der erwachsene Jesus am Kreuz. Und das straffe Wickeltuch, in das das Jesuskind eingebunden ist, spielt auf das Leichentuch bei der Grablegung Christi an.

Was ist da genau im Coaching passiert?

So einfach die Lösung für diesen inneren Konflikt im Nachhinein erscheint, so intensiv war das innere Ringen während der Coaching-Session. Ich habe bei Sebastians Coaching die Methode der psychologischen Kunstbetrachtung mit der Methode des »Inneren Teams«, das ist die Arbeit mit inneren Anteilen nach Friedemann Schulz von Thun, und mit Elementen aus der Aufstellungsarbeit verbunden.

Damit konnte Sebastian auf spielerische Weise seine inneren Stimmen nach Außen holen und auf die Figuren auf der Leinwand »projizieren«, um dann aktiv mit diesen Anteilen ins Gespräch zu gehen. Das hat ihm die Klarheit gebracht, welche Anteile in diesem inneren Konflikt beteiligt sind. Und es hat die innere Stimme sichtbar und hörbar gemacht, die den entscheidenden Hinweis für die Lösungsfindung mitteilen konnte.

Ich würde diese Stimme, die Männerfigur rechts im Bild, auch als die »innere Weisheit« von Sebastian bezeichnen. Mit dieser Klarheit und seiner inneren Weisheit konnte Sebastian bewusst eine Entscheidung treffen und nach kurzer Zeit ganz gelassen diese Entscheidung auch in die Tat umsetzen.

Wie du am Beispiel von Sebastian siehst, führt ein Coaching im Museum in kurzer Zeit zu konkreten Erkenntnissen und praktisch umsetzbaren Lösungen – auch wenn es auf den ersten Blick völlig verrückt klingt, dass ein altes Gemälde etwas über ein Problem im Hier und Jetzt sagen kann.

Durch die Beschäftigung mit Kunstwerken findet eine tiefgehende Transformationsarbeit statt. Das Coaching wirkt auch besonders nachhaltig und intensiv, weil es mit dem Kunstwerk einen visuellen Anker und eine sichtbare Erinnerung gibt. So kannst du dir im Alltag die Erkenntniss aus dem Coaching immer wieder aufrufen, damit sie sich tief in dir verankern.

Und als Bonus macht so ein Coaching im Museum richtig Spaß!

Das Gute ist: Für ein Coaching im Museum brauchst du keinerlei Fachwissen über die Geschichte der Kunst. Es reicht, wenn du offen bist und die Bereitschaft mitbringst, dich auf das Kunstwerk und damit auf dein Inneres einzulassen.

Ich bin gespannt, welches Bild du auswählen würdest und was sich bei dir zeigen möchte.

Herzliche Grüße
Sarah

Falls du noch Fragen hast, findest du in meinen FAQ vielleicht die passende Antwort:
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Photo credits

Titelbild: Andrea Mantegna, Darbringung Christi im Tempel, um 1454 (c) Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Fotograf: Christoph Schmidt

Skizze: (c) Sarah Maupeu, 2023